Menschlichkeit (仁): Wesen und Aufgabe des Menschen, Mein Vortrag an der Uni zu Köln
Vortrag auf der Tagung des Forschungskollegs der Inter-/Transkulturellen Philosophie zum Thema "Die Lehre vom "höchsten Guten" - Eine interkulturelle philosophische Annäherung an die Perpektive der Menschlichkeit: Ren (仁)
Menschlichkeit (仁): Wesen und Aufgabe des Menschen
– Eine Untersuchung anhand von Lunyu und Menzius
Du Lun, Uni Duisburg-Essen
1. Das chinesische Schriftzeichen ren (仁)
Zunächst möchte ich kurz auf eine philologische Frage eingehen, nämlich Ihnen kurz das chinesische Schriftzeichen ren erläutern, das ich mit „Menschlichkeit“ übersetze.
Erstens hat das Schriftzeichen bzw. Wort „Menschlichkeit“ (ren仁) die gleiche Aussprache wie die des Wortes „Mensch“ (ren 人).
Zweitens weist das Schriftzeichen zwei Varianten auf. Das heute üblicherweise verwendete Schriftzeichen ren仁 besteht aus zwei Teilen: „Mensch“ (ren 人) und „zwei“ (er 二). So zeigt sich im diesem Schriftzeichen ein Mensch „in einem Verhältnis zum anderen“. Die andere Schreibweise zeigt eine Kombination der Schriftzeichen für Körper (shen 身; oben) und Herz (xin 心; unten): 身心. Interessanterweise wird das Wort „Körper“ (身) oft mit der Bedeutung „sich selbst“ (also das „Ich“) verwendet und das Herz, das im Westen in seiner metaphorischen Verwendung primär für Mitgefühl steht, für Chinesen zugleich als Sitz des Verstands gilt. (Darauf komme ich später zurück) Das bedeutet, das Schriftzeichen bezieht sich primär auf die handelnde Person selbst.
Drittens soll es auch erwähnt werden, dass das Wort ren 仁an mehreren Stellen der konfuzianischen Schriften durch einen direkten Verweis auf „Menschen“ (ren 人) erläutert wird. So findet sich z.B. im Werk von Menzius der Satz: „Die Menschlichkeit ist eben Menschsein.“ (仁也者,人也。7B16) Im diesem Zusammenhang möchte ich den französischen Sinologen und Philosophen Jullien zitieren. Er schreibt nämlich in seinem Werk „Dialog über die Moral – Menzius und die Philosophie der Aufklärung“: „Die gesamte Tugend liegt im Menschen und äußert sich, wenn man zu zweit ist.“
Tatsache ist, dass das Wort ren仁 vor Konfuzius schon sehr oft gebraucht wurde und sich in der Chunqiu-Zeit (722 – 481 v. Chr.), in deren späteren Phase er lebte, zu einem Begriff zur positiven Bewertung des menschlichen Verhaltens entwickelt hat. Allerdings ist es Konfuzius, der das Wort zu einem Grundprinzip (bzw. Kernbegriff) und zur „Seele aller Tugenden“ aufgewertet hat.
In meinem Vortrag benutze ich durchgängig die Übersetzung „Menschlichkeit“ und beschränke ich mich auf zwei Werke: erstens Lunyu (dt. zumeist Gespräche), das Konfuzius’ Schüler der 2. Generation zusammengestellt haben sollen und zweitens Menzius, das Werk, das Menzius selbst mit seinen Schülern zusammengestellt haben soll.
(So viel zum Schriftzeichen. Um die Bedeutungen des Begriffs „Menschlichkeit“ und die Tragweite dessen Wirkung für die geistige Entwicklung Chinas besser zu verstehen, muss man selbstverständlich die Entstehungsgeschichte dieses Begriffs und den historischen Hintergrund wissen. So komme ich zum 2. Punkt meines Vortrags.)
2. Entstehung des Begriffs „Menschlichkeit“ (ren) als letzte Grundlage des sittlichen Handelns
Zu der Zeit, in der Konfuzius lebt (551 – 479 v. Chr.), befindet sich China in einem Umbruch, nicht nur im politischen Sinne, sondern auch in kulturellem Sinne. Die Gesellschaft, die – pauschal gesagt – aus der herrschenden Oberschicht (zugleich dem Adelstand) und den Massen (hauptsächlich Bauern, die auf dem ihnen zugeteilten Feld arbeiten) besteht, gerät aus den Fugen. Auch die sozialen Normen, Chinesisch: li (auf Deutsch: Riten: 礼), die das politische und soziale Leben des Adelstands regeln und damit eine hierarchische Ordnung garantieren sollen, werden immer weniger geachtet.
Die Lehre des Konfuzianismus ist also Ausdruck der Reflexion der damaligen aristokratischen Gelehrtenschicht über die politischen und sozialen Krisen ihrer Zeit. So verfolgt Konfuzius z.B. das Ziel, die soziale und politische Ordnung wieder herzustellen, die sich auf die traditionellen Riten stützt.
Die Riten (li 礼, also sozialen Normen) bieten für Konfuzius zwar eine Art Basis, auf die sich das menschliche Zusammenleben gründen lässt (Lunyu 20.3) und an denen man als Einzelner sich – um einen modernen Begriff zu benutzen – in der Sozialisation orientieren kann, aber er gelangt zu der Einsicht, dass diese Riten erst dann tragfähig sind, wenn die Menschen den guten Sinn ihrer Befolgung verinnerlicht haben , also ein moralisches Bewusstsein dafür entwickelt haben. So heißt es in Lunyu: „Wenn ein Mensch nicht menschlich ist, was könnte er dann mit den Riten anfangen?“ (人而不仁,如礼何?Lunyu 3.3)
Diese neue Erkenntnis zeigt einen qualitativen Durchbruch des chinesischen Denkens vor etwa 2500 Jahren, den der Sinologe und Philosoph Heiner Roetz als „Durchbruch zu postkonventionellem Denken“ bezeichnet. Konfuzius’ Leistung besteht eben darin, die traditionellen Riten durch den Geist der Menschlichkeit neu zu erklären, wobei wir die Menschlichkeit als die Sinngebung der sozialen Normen (also Riten) und die sozialen Normen (Riten) als die Genese und Verwirklichung dieses Sinnes (der „Menschlichkeit“) verstehen können. Mit anderen Worten, als Kernwert bzw. letztes Grundprinzip stellt die Menschlichkeit die eigentliche Grundlage der Normen dar. Um wieder Roetz zu zitieren: „Die Menschlichkeit repräsentiert die unerschütterliche Innerlichkeit und die Loslösung der Moral von jedem anderen Zweck, die ein unkorrumpiertes Leben allererst verbürgen.“
Während aber die sozialen Normen (Riten) das sittliche Handeln von außen regeln sollen und für die Einzelnen fremd bestimmend wirken, entspringt die Menschlichkeit als Wille und Gefühl vom Herzen eines Menschen. So sagt Konfuzius zu seinem besten Schüler Yan Hui: „Ob man menschlich handelt, hängt von der betreffenden Person selbst ab; wie denn von Anderen?“ (颜渊问仁。子曰:“克己复礼为仁。一日克己复礼,天下归仁焉。为仁由己,而由人乎哉?”12.1颜渊)
Fazit: Bei der Menschlichkeit geht es um sittliches, besser gesagt, moralisches Handeln eines Menschen in der Gesellschaft. Sie stellt den Ausgang dieses Handelns im doppelten Sinne dar: den Beweggrund (出发点) und zugleich das letzte Ziel (bzw. Ende归宿). Und die Realisierung der Menschlichkeit (dass man tatsächlich menschlich ist) ist logischerweise nur an gutem Willen und guten Taten für die Gesellschaft und andere Menschen zu messen.
(Was bedeutet dann die Menschlichkeit? Ich komme zum 3. Punkt.)
3. Bedeutungen der Menschlichkeit
Im Lunyu kommt der Begriff ren仁 insgesamt 109 Mal vor und seine Erläuterungen durch Konfuzius und seine Schüler sind vielfältig. Das ist eigentlich nicht verwunderlich: Denn die Menschlichkeit kann nur durch das moralische Handeln in der Gesellschaft realisiert werden; da jedoch die Beziehungen zwischen den Menschen vielfältig sind, muss man je nach der Situation immer anders handeln und es gibt dafür immer andere Bezeichnungen.
Dennoch lässt sich eine durchgängige Linie erkennen. Als ein Schüler von Konfuzius (Fan Chi) ihn einmal nach der Menschlichkeit fragt, gibt er folgende Antwort: „Menschen lieben“ (爱人, Lunyu 12.22). Wir können uns folgende zwei Situationen vorstellen und den Dialog entsprechend interpretieren. Erstens: Fan Chi fragt Konfuzius: „Was bedeutet die Menschlichkeit?“ Der Lehrer antwortet: „Man liebt (andere) Menschen“ bzw. „Wenn man (andere) Menschen liebt.“ So erfasst Konfuzius die Menschlichkeit als Erfahrung und beschreibt sie als Wesen des Menschen. Dies ist durchaus möglich, weil wir selbst im Zusammenleben mit anderen Menschen Liebe zu anderen Menschen erfahren und zum Ausdruck bringen.
Die zweite Interpretation wäre: Fan Chi fragt Konfuzius: „Wie kann man menschlich werden?“ Der Lehrer antwortet: „indem man (andere) Menschen liebt.“ In diesem Fall handelt es sich um ein Gebot über das moralische Handeln, also um eine Beschreibung der Menschlichkeit als Aufgabe des Menschen. Man sollte also Gefühl der Liebe für (andere) Menschen entfalten und den Wille dafür stärken. Gleichwohl ist die Grenze zwischen den beiden Erfassungen fließend. Das ist wichtig für das Verständnis des chinesischen ganzheitlichen Denkens.
Wenn es heißt, dass ein Mensch menschlich werden sollte, so erfährt man von Konfuzius zwei Grundprinzipien. Ein anderer Schüler (Zigong) stellt einmal seinen Lehrer folgende Frage: „Gibt es ein Wort, wonach man sich ein ganzes Leben lang richten kann?“ (有一言而可以终身行之乎?Lunyu 15.24) Konfuzius’ sagt: „Es müsste shu恕 sein!“ und fügt dann hinzu: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg‘ auch keinen anderen zu.“ (其恕乎!己所不欲,勿施于人。Lunyu 15.24)
Dieser Begriff shu wird von Richard Wilhelm mit „Nächstenliebe“ und von deutschen Sinologen mal mit „Nachsicht“, mal mit „gegenseitiger Rücksichtnahme“, „gegenseitigem Verstehen“, „Gegenseitigkeit“, manchmal auch mit „Fairness“ übersetzt. Ich würde einfach mit „Rücksichtnahme“ übersetzen, da sich der Begriff primär auf die Person selbst bezieht, von der das Handeln der Rücksichtnahme ausgeht. Voraussetzung für diese Art von Handeln ist jedoch, dass die handelnde Person (also das Subjekt) das Gegenüber als ein gleichartiges Wesen betrachtet und in seine eigene Person (also in „das Ich“) einschließt. (Darum findet man im klassischen Chinesischen keine Entsprechung für „Individuum“) Aufgrund dieser Denkweise überträgt die handelnde Person ihren eigenen positiven wie negativen Willen (Neigung und Ablehnung) auf den des Gegenübers. Um dies überspitzt zu formulieren: das denkende Subjekt setzt das Gegenüber in seine eigene Lage. Der Effekt dieser Art von Gegenseitigkeit lässt sich also am obigen Zitat des Konfuzius wie folgt beschreiben: „Stell dir mal vor, wenn er in deiner Lage wäre, würde er auch nicht wünschen, dass man ihm was antut. Also ich sollte ihm auch nichts antun.“
Deshalb würde ich shu, also „Rücksichtnahme“ als Minimum des moralischen Handelns, was als menschlich gilt. Es handelt sich um ein in einem eigens wach zu haltendes, tätiges Mitgefühl für andere Menschen. Unsere tägliche Erfahrung sagt uns, dass es vielen nicht gelingt und einem nicht immer gelingt. Dennoch erwartet Konfuzius von sich selbst und anderen Menschen eine eher aktive Realisierungsform von „Rücksichtname“, der Übertragung des eigenen Willens. Um dem erwähnten Schüler Zigong zu erklären, dass es – im Vergleich zu „Heiligsein“ – keineswegs schwierig ist, als menschlich zu gelten, sagt Konfuzius:
„Für einen, der menschlich ist, gilt: Wenn er selbst den Wunsch hat, auf der Welt zu bestehen, dann verhilft er auch anderen dazu. Und wenn er etwas erreichen will, dann verhilft er auch anderen dazu. Sich darauf verstehen, das [einem selbst] Nahe als Beispiel [für das Verhalten gegenüber anderen] zu nehmen, das kann als Weg zur Menschlichkeit gelten.“ (夫仁者,己欲立而立人,己欲达而达人。能近取譬,可谓仁之方也矣。 Lunyu 6.30)
Wie beim obigen Zitat mit dem Begriff shu geht man also wieder von sich selbst aus. Allerdings ist diese Aufgabe für die Menschen noch schwieriger als die passive „Rücksichtnahme“. Denn das handelnde Subjekt muss sich nicht nur mit den Fragen beschäftigen, wie z.B. „wer ich bin“ und „was ich will oder nicht will“, sondern muss auch Erfolg in seiner Persönlichkeitsbildung haben und aktiver am sozialen Leben und politischen Geschehen mitwirken.
Nun wäre es aber falsch anzunehmen, dass Konfuzius die Menschlichkeit dann schon für verwirklicht hielte, wenn jemand einfach nur Mitgefühl und tätige Hilfe äußerlich sichtbar vollzieht. Es bedarf der Erfüllung einer zusätzlichen, nicht minder wichtigen Bedingung: nämlich die eines ehrlich empfundenen Mitgefühls. Anders gesagt, es muss, wenn man anderen Menschen was Gutes tut, von ganzem Herzen kommen.
Dieses zweite Grundprinzip der Realisierung der Menschlichkeit, was ebenfalls als Aufgabe des Menschen bezeichnet werden kann, trägt den Name zhong (忠), den man an vielen Stellen am besten mit „Treue zu sich selbst“ übersetzen sollte. Das bedeutet dann so hehre Ideale wie ehrlich zu sich selbst sein, zu seinen eigenen Grundsätzen stehen oder möglichst hohe Anforderungen an sich selbst stellen, und zwar unabhängig davon, ob man von anderen beobachtet wird oder nicht.
So gesehen stellt die Bemühung um die Menschlichkeit und vor allem deren Realisierung in der Gemeinschaft einen lebenslangen Prozess dar. Es liegt auch auf der Hand, dass diese Bemühung bei dem handelnden Subjekt selbst beginnt: Man gelangt durch Erfahrungen immer neue Kenntnisse über sich selbst und versucht, sich zu vervollkommnen (Chinesisch: 成己).
Gleichwohl hängt die Persönlichkeitsbildung im Sinne der Menschlichkeit eng mit den guten Taten für andere Menschen zusammen. Deshalb kann man auch umgekehrt sagen: Man kann sich selbst nur dann vervollkommnen, indem man sich darum bemüht, was Gutes für andere Menschen zu tun.
Ziel dieser moralischen Persönlichkeitsbildung ist es, Edler zu werden und als Edler zu gelten. Ein solcher Mensch kann z.B. wie folgt beschrieben werden: Hat er keinen Erfolg (bzw. findet er keine Anerkennung bei anderen Menschen), so „veredelt er einsam seine Persönlichkeit“ (du shan qi shen 独善其身)“; hat er aber Erfolg, so „verhilft er auch andere Menschen in der Welt zum Erfolg“ (jian ji tianxia 兼济天下).
(Aus Zeitgründe gehe ich nicht auf das Thema des „Edlen“ ein, obwohl dieses zu den Zentralthemen der konfuzianischen Lehre gehört. Ich komme zum letzten Punkt.)
4: Begründung der Menschlichkeit
Wenn wir sagen, dass die Menschlichkeit das Wesen des Menschen ist, so müssen wir dies begründen. Angesichts der Tatsache, dass es in der Welt – einfach gesagt – gute und schlechte Menschen gibt, können wir z.B. fragen, wie ist es überhaupt möglich, dass einige Menschen die Moralität der Menschlichkeit entwickeln können, aber andere nicht.
Während Konfuzius eher die Ansicht vertritt, wonach man sich an den sozialen Normen (Riten) orientieren sollte, um menschlich zu werden (Lunyu 12.1颜渊), glaubt Menzius den Grund in der angeborenen guten Natur des Menschen gefunden zu haben. Er ist nämlich der Ansicht, dass der Mensch von Natur aus über moralische Anlagen zur Entwicklung der vier Kardinaltugenden verfügt. Dies sind Menschlichkeit, Gerechtigkeit, sittliches Empfindens und Weisheit. Im Buch Menzius finden wir folgende Beschreibung:
„Alle Menschen besitzen ein Herz, das sie das Leiden anderer nicht ertragen lässt. […] Der Grund, warum ich sage, dass alle Menschen ein solches Herz haben, ist folgender: Angenommen, jemand sieht plötzlich, dass ein kleines Kind dabei ist, in einen Brunnen hineinzufallen, da wird jeder ein Gefühl des Schreckens und des Mitleids empfinden. Und das ist nicht etwa deshalb so, weil man sich bei den Eltern des Kindes beliebt machen möchte, sich in seiner Ortschaft und unter den Freunden Lob erwerben will oder weil einem der Schrei des Kindes zuwider wäre. ……“ (人皆有不忍人之心。……所以谓人皆有不忍人之心者:今人作见孺子将入于井,皆有怵惕恻隐之心;非所以内交于孺子之父母也,非所以要誉于乡党朋友也,非恶其声而然也。由是观之,无恻隐之心,非人也;无羞恶之心,非人也;无辞让之心,非人也;无是非之心,非人也。Mengzi 2A6)
Das heißt, im Zentrum dieser Moralbegründung von Menzius steht das Herz, das nicht nur Mitleid empfinden und Mitgefühl erzeugen kann, sondern auch – wie gleich deutlich wird – dem Mensch das Denken bzw. Nachdenken ermöglicht. Dabei verwendet Menzius den Begriff „Herz“ mit dem Begriff der „guten Natur des Menschen“ (Chinesisch: 性) gleichbedeutend. So heißt es an anderer Stelle des Buchs:
„Das Herz des Mitleids ist der Keim der Menschlichkeit, das Herz der Scham und der Abscheu ist der Keim der Gerechtigkeit, das Herz der Höflichkeit und Bescheidenheit ist der Keim des sittlichen Empfindens und das Herz [also der Sinn] für richtig und falsch] ist der Keim der Weisheit. Der Mensch besitzt diese vier Keime genauso wie seine vier Gliedmaßen. […].“ (恻隐之心,仁之端也;羞恶之心,义之端也;辞让之心,礼之端也;是非之心,智之端也。人之有是四端也,犹其有四体也。有是四端而自谓不能者,自贼者也;谓其君不能者,贼其君者也。Mengzi 2A6)
Um dies zu betonen, bei den angeborenen Keimen der Tugenden handelt es sich lediglich um moralische Anlagen, nicht um die Moral selbst. Dass ein Mensch über moralische Anlagen verfügt, bedeutet keineswegs – diese ist ganz wichtig zu wissen – dass jeder Mensch von Natur aus ein guter Mensch ist, sich automatisch zu einem guten Menschen entwickeln kann oder – was unser Thema betrifft – zur Moralität der Menschlichkeit gelangt. Dazu ist die weitere Funktion des Herzens notwendig, nämlich die des Verstands. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, die moralischen Anlagen vor schlechten Einflüssen zu schützen und sie zur Moralität zu entwickeln: (Zitat)
„Menschlichkeit, Gerechtigkeit, sittliches Empfinden und Weisheit sind uns nicht von außen gegeben. Wir haben sie ursprünglich in uns, nur denken wir nicht daran. Deshalb gilt: Wer sie sucht, der findet sie; wer sie aufgibt, verliert sie.“ (仁义礼智,非由外铄我也,我固有之也,弗思耳矣。故曰,‘求则得之,舍则失之。Mengzi 6A6)
Umgekehrt heißt es, wenn man – z.B. als Kind – keine Gelegenheiten hat, seine angeborenen moralischen Anlagen zu erfahren und zu entwickeln, sondern verkümmern lässt, wird er eben nicht menschlich. Menzius schreibt:
„Die Seh- und Hörorgane denken nicht und werden von den Dingen nur getäuscht. Wenn diese Organe mit der Außenwelt in Berührung kommen, werden sie nur irregeführt. Aber das Herz denkt. Durch Denken kann man das Gute des Menschen erfassen; ohne Denken kann man das Gute des Menschen nicht erfassen. Dies ist etwas, was der Himmel uns verliehen hat. (Nicht lesen: Wenn man sich zuerst auf dieses große [Organ] stützt, dann können die kleinen (Organe) nicht von der Außenwelt irregeführt werden. Und es ist nur dies, was einen Edlen ausmacht.“ (耳目之官不思,而蔽于物。物交物,则引之而已矣。心之官则思,思则得之,不思则不得也。此天之所与我者。先立乎其大者,则其小者不能夺也。此为大人而已矣。Mengzi 6A15)
An diesem Zitat ist ein weiterer, aber nicht weniger bedeutender Bestandteil der Lehre von Menzius zu erkennen, nämlich der Himmel. Er glaubt nämlich daran, dass die moralischen Anlagen und damit die Moral selbst vom Himmel stammen. Denn er schreibt:
„(Nicht lesen: Es gibt Ränge, die der Himmel [dem Menschen] verliehen hat, und es gibt Ränge, die der Mensch [dem Menschen] verliehen hat. Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Treue zu sich selbst, Glaubwürdigkeit und die unermüdliche Freude am Guten – das sind die Ränge, die der Himmel [dem Menschen verliehen] hat.“ (有天爵者,有人爵者。仁义忠信,乐善不倦,此天爵也。Mengzi 6A16)
Wenn wir daran denken, dass die erwähnten Tugenden das Wesen des als vollkommen geltenden Himmels ausmachen, der ja deshalb als moralische Instanz des irdischen Lebens gilt, und wenn wir daran denken, dass diese Tugenden zugleich im Herzen des Menschen verwurzelt sind, so liegt es nahe zu sagen, dass die Aufgabe des Menschen eben darin besteht, sein eigentliches Wesen immer neu zu erfahren und sich dessen bewusst zu werden. Am Ende würde er ganz mit seiner eigenen guten Natur (also der Moral) eins werden. Das ist eine Aufgabe, um welche man sich ein Leben lang bemühen soll, aber wahrscheinlich nie vollenden wird. So schreibt Menzius:
„Wer sein [ureigentliches] Herz gründlich erforscht und [dessen Kräfte] ausschöpft, erkennt seine angeborene [gute] Natur; wer seine angeborene [gute] Natur erkennt, der erkennt bereits den Himmel. Das [ureigentliche] Herz bewahren und die angeborene [gute] Natur hüten – dadurch dient man dem Himmel. Egal, ob man früh stirbt oder lange lebt, man richte sein ganzes Trachten und Sinnen auf die Selbstkultivierung und warte dadurch auf die Bestimmung des Himmels – so gestaltet man sein Leben.“ (尽其心者,知其性也。知其性,则知天矣。存其心,养其性,所以事天也。存其心,养其性,所以事天也。殀寿不贰,修身以俟之,所以立命也。Mengzi 7A1)
Mit diesem Zitat beende ich meinen Vortrag. Ich freue mich auf Ihre Fragen, vor allem Hinterfragen und Kritik!